Das Rad der Fortuna – oder: Das Glück ist ein Geschenk

Das Wort Fortuna ist lateinisch und bedeutet in deutscher Übersetzung sowohl Glück als auch Schicksal. Fortuna ist eine römische Gottheit, die nach antiker Vorstellung das Glück der Menschen in ihrer Hand hält. Fortuna hat es geschafft, bis ins 13. Jahrhundert zu überleben. Die Menschen im Mittelalter stellten sich vor, dass Fortuna eine Dienerin des christlichen Gottes sei und dessen Werk ausführt. So erklärten sie sich, dass das Glück oft unvermittelt kommt und ebenso schnell vergeht. Das Glück ist wie ein Rad, das sich mit den Menschen dreht. Mal sind sie obenauf, mal ganz unten.

Sinnbild dieses wechselhaften Geschicks ist das Rad der Fortuna, das sich als Zeichnung schon in der mittelalterlichen Originalhandschrift der Carmina Burana findet. Dort wird Fortuna sitzend vor der Mitte ihres Rades dargestellt. Ihre Hände zeigen die Kreisbewegung des Rades an. Während – vom Betrachter aus gesehen – die Finger ihrer rechten Hand nach unten weisen, zeigen die der linken Hand nach oben. Das Rad der Fortuna dreht sich im Uhrzeigersinn.

Um die Göttin Fortuna herum finden sich vier Darstellungen des Menschen. Ganz oben sitzt er als König mit Krone und Szepter auf dem Thron. Als Herrschender ist er (in der Vorstellung der Menschen) auf der Höhe des Glücks angekommen. Das lateinische Wort regno (Ich herrsche) deutet dieses Bild.

Doch das Rad dreht sich unaufhörlich. Rechts stürzt der Monarch nun hinab. Die Krone fällt ihm vom Haupt, mit den Armen versucht er sich am Radreifen festzuhalten. Regnavi (Ich habe regiert) zeigt an: Das Glück hat den König verlassen.

Der Mensch unter dem Rad wird von diesem fast zerquetscht. Mit einer Hand sucht er Hilfe bei Fortuna. Die Inschrift bringt es auf den Punkt: Sum sine regno (Ich bin ohne Königreich).

Doch das Rad dreht sich weiter und bringt das Glück zurück. Die Figur links lässt sich vom Schicksal wieder nach oben tragen. Sie hält sich mit einer Hand am Radreifen fest, mit der anderen Hand greift sie schon wieder nach dem Thron. Die Zuversicht ist zurück. Ragnabo heißt: Ich werde (wieder) regieren.

Die Darstellung ist an Prägnanz kaum zu übertreffen. Könige verlieren ihre Macht, gewinnen sie zurück und können sie doch nicht festhalten. Die Botschaft des Rades der Fortuna warnt und tröstet zugleich. Wie das Glück flüchtig ist, so ist auch das Unglück nicht von Dauer. Kinder und Erwachsene lernen am Rad der Fortuna, dass das Glück ein Geschenk ist. Sie dürfen es annehmen und bescheiden genießen, solange es bei ihnen bleibt. Trifft sie aber ein Unglück, dürfen sie hoffen. Auch das Pech ist vergänglich. Das ist die Botschaft der Carmina Burana.


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